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Mein Baby reagiert intensiver

Aktualisiert: 28. Juni 2023


Als ich Ende 2011 mein erstes Kind auf die Welt brachte, hatte ich trotz abgeschlossener Pädagogik- und Psychotherapieausbildung noch nie etwas von Hochsensitivität / Hochsensibilität / Hochreaktivität bei Kindern gehört.


Während der Schwangerschaft hatte ich mir in Gedanken oft die erste Zeit mit Baby ausgemalt: Wie ich gemeinsam mit meinem Mann die ersten Monate mit einem Neugeborenen genießen würde, wie ich mein Kind glücklich stillen würde, wie sein Papa von Anfang an in der Versorgung mithelfen und eine genauso enge Bindung aufbauen würde, wie ich schon bald wieder stundenweise anfangen könnte, Therapiestunden zu geben – und in dieser Zeit dann der Papa oder die Oma auf mein Kind aufpassen würden.


Die Geburt war wunderschön und meine Tochter nahm schon in der ersten Lebensminute intensiven Blickkontakt mit uns Eltern auf. Das war ein berührender Moment. Danach kam alles anders als vorgestellt. Das Stillen gestaltete sich die ersten Wochen sehr schwierig, unser Kind schlief nie länger als zwei Stunden am Stück, auch nachts nicht. Versuchte ich, meine Tochter in den Kinderwagen zu legen, ins Beistellbettchen oder ich wollte sie einer fremden Person zum Halten geben, fing sie sofort an, existenziell zu schreien. In meinen Armen und auf meinem Körper war meine Tochter stets ruhig und zufrieden. So kam es, dass ich ihr letztlich Tag und Nacht Körperkontakt bot, untertags im Tragetuch, nachts Haut an Haut auf meinem Bauch.


Irgendwann bekam ich vom vielen Tragen starke Rückenschmerzen und beschloss, einmal in der Woche zur Heilmassage zu gehen. In dieser einen Stunde pro Woche mutete ich meinem Kind zu, vom Papa allein betreut zu werden. Meistens waren beide erschöpft, wenn ich nach Hause kam. Sie hatten eine Stunde Wippen am Pezziball bei Babymusik oder ein Hinauf- und Hinablaufen im Stiegenhaus hinter sich. Das waren die einzigen Methoden, mit denen sich unser Kind vom Papa halbwegs beruhigen ließ. Oft weinte sie dennoch bitterlich bis zu dem Moment, als ich wieder bei ihr war und sie sogleich an die Brust nahm. In solchen Momenten war ich ziemlich verzweifelt und erschöpft. Dazu kam, dass ich ein schlechtes Gewissen hatte, mich ständig mit anderen Müttern um mich herum verglich und mich unfähig fühlte. Bei den meisten anderen war alles viel einfacher. Ich bekam von allen Seiten gut gemeinte Ratschläge, die bei mir aber nicht funktionierten und zum Teil kamen auch Vorwürfe wie solche, dass unbewusst sicher ICH diejenige war, die „klammerte“ und mein Kind nicht loslassen konnte.


Als meine Tochter ein halbes Jahr alt war, stieß ich durch Zufall auf einen Artikel in der Zeitschrift ELTERN: „Wenn nur die Mama trösten kann“ (Juli 2012). Es war nur eine Seite Text, aber in diesen Beschreibungen hochsensitiver / hochreaktiver Babys fand ich mein Kind zu 100 Prozent wieder. Mir liefen die Tränen hinunter. Ich machte nichts „falsch“ und auch mit meinem Kind war nichts „falsch“. Es war lediglich anders als die meisten anderen Kinder - nämlich hochsensitiv. Hochsensitiv zu sein bedeutet, mit einem Nervensystem geboren zu werden, das mehr Reize wahrnimmt, diese in verschiedenen Gehirnregionen tiefer verarbeitet und dass die Bindung an die primäre Bezugsperson nach der Geburt besonders stark und wichtig ist (um sich in der Flut neuer Reize nicht zu verlieren, sondern einen sicheren Anker spüren zu können). Endlich hatte ich eine Erklärung für das Erleben, das Verhalten und die starke Bindung meiner Tochter gefunden.


In Folge begann ich, alles aufzusaugen, was ich zum Thema „Hochsensitivität“ finden konnte. Ich las Bücher, wissenschaftliche Veröffentlichungen und Erlebensberichte. Ich vertiefte mich in die Theorie und verifizierte diese in meiner Elternschaft und in meiner Praxis. So entwickelte sich das Thema „Hochsensitivität“ in meinen beruflichen Tätigkeiten (Psychotherapie und Elternberatung) zu einem Schwerpunkt und irgendwann habe ich begonnen, auch Vorträge, Elternabende und Fortbildungen zum Thema „Hochsensitivität bei Kindern“ anzubieten.


Heute bin ich Mutter von drei Kindern, deren Hochsensitivität unterschiedlich stark ausgeprägt ist. Ich habe herausgefunden, dass mein Mann und ich ebenfalls hochsensitiv sind und wir haben gelernt, diese Persönlichkeitseigenschaft für uns alle als Geschenk und Stärke zu erleben.


Wenn Du mehr über „Hochsensitive Kinder“ erfahren möchtest, schau doch rein unter:

Ich wünsche dir viel Freude und wertvolle Erkenntnisse für Dich und Dein(e)Kind(er)!



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